60plus: Blick zurück – und nach vorn!

Im modernen Gästehaus des Hildesheimer Michaelisklosters erlebten sie einigen Tiefgang, wie eine Teilnehmerin berichtet: „Für die erste Vorstellungsrunde in Kleingruppen hatten wir Fotos oder ein Stofftier von früher mitgebracht. Wir Frauen sprechen von Ursprungsfamilien, Geschwisterkonstellationen, frühen Prägungen. Der Mann wedelt mit einem Bowdenzug: Das Symbol seiner frühen Freiheit – dank Motorrad.
Intensiv biographisch wird es am Samstag. Eine halbe Stunde für die Vorbereitung, dann präsentieren wir unser Leben "am Schnürchen". In zufällig zugewiesenen Dreiergruppen, pro Person sind zwanzig Minuten Zeit. Da heißt es auf den Punkt kommen – und entscheiden: Will ich viel vom Job erzählen, eher von Familie und Liebesbeziehungen, von Glaubensbiographie und Sehnsüchten? Was teile ich mit, welche Themen bleiben tabu?
Alle legen ihre Wollfäden auf dem Boden aus und markieren wichtige Ereignisse ihres Lebens mit Herzen, Steinen oder Zetteln. Manche deuten mit parallelen Fäden auch die jeweils empfundene Nähe oder Distanz zu Gott an. Es berührt, hinter die Fassaden anderer blicken zu dürfen, wenn sie von beruflichen Erfolgsphasen oder Mutterfreuden, aber auch von Suchterfahrungen oder Pflegebelastungen berichten.
Später ist längeres Schweigen angesagt: An thematischen Stationen reflektieren wir über Trauer und Wut, Klage und Vergebung. Die Zettel, auf die wir „Loslassens-würdiges“ aus unserem Leben geschrieben haben, übergeben wir draußen den Flammen.
Am Sonntag steht ein Bibliodrama zu 1. Mose 18 auf dem Programm: Gott verheißt Abraham und Sara spätes Elternglück. Trotz lockender Worte unseres Bibliodrama-Leiters finden sich nur sieben Mitspielende. Weitere Überraschungen: Etliche Nebenrollen wie ein Schattenbaum, die Hitze oder ein Mann aus Sodom sind besetzt. Die Kernfigur Abraham hingegen fehlt, ebenso wie die drei Besucher. Immerhin erwärmt sich eine Mitspielerin für die Rolle der Sara.
Kein Wunder also, dass die Geschichte um einiges anders verläuft als in der Bibel. Die Dienerin Hagar – obwohl aus einem vorangegangenen Kapitel – bringt mit Nachdruck weibliche Positionen ein. Vor allem aber tun sich die Rollen der Verheißung Gottes und der Wollust fröhlich zusammen; sie motivieren Sara für Liebesfreuden, denen sie sich entwachsen fühlt, und späten Nachwuchs. Wir haben viel Spaß – und bekommen auch in diesem freien Spiel ein Gefühl davon, dass Gott auf eine ganz eigene Weise im Leben der Menschen wirkt.
Am Ende Tipps fürs Weitermachen. Wie wäre es mit einem Freudentagebuch? Oder damit, häufiger mit vertrauten Menschen ins Erzählen zu kommen? „Ziel eines Lebensrückblicks ist es, eine Geschichte erzählen zu können, mit der man besser leben kann und die es erlaubt, sich mit der eigenen Geschichte zu versöhnen", schreibt die Psychoanalytikerin Verena Kast.
Am Schluss des Wochenendes tauschen manche ihre Handynummern aus. Da wir aus der ganzen Republik kommen, da ist ein "echter" Stammtisch oder eine Gruppe für den Übergang in den Ruhestand nicht realistisch. Aber es gibt ja Onlineformate – und Angebote an Wochenenden. Nicht nur, aber auch bei Solo&Co!
(Name der Autorin ist der Redaktion bekannt)


