Zwischen Singlesein und Ehe – ein ehrlicher Dialog
Cheryl (*) und Ingrid – beide sind Mitte 60 und haben viele Jahre zusammen in Afrika gearbeitet. Ingrid ist Deutsche, Ärztin und ledig, Cheryl aus den USA ist Krankenschwester, verheiratet, hat 4 erwachsenen Kinder und 3 Enkel. In einem fiktiven Video-Call sprechen sie über ihr (Er)leben.
CHERYL: „Ingrid, ich habe gesehen, wieviel du immer unterwegs warst, und dich beneidet, wen und was du alles kennenlerntest – während ich zuhause bei den Kindern blieb und mich mit Home-Schooling, Würmern und dem Versuch beschäftigte, täglich drei ausgewogene Mahlzeiten auf den Tisch zu bekommen. Wie hast du das erlebt?“
INGRID: „Ja, ein Vorteil des Singledaseins war meine Ungebundenheit. Wenn irgendwo dringend eine Therapeutin gebraucht wurde, konnte ich dorthin, ohne lange überlegen zu müssen. Ich konnte auch mal ein halbes Jahr in ein Nachbarland ziehen, um eine Lücke zu stopfen. Und wenn es in gefährliche Situationen ging, musste ich nur für mich selbst abwägen, ob das Risiko sinnvoll war oder nicht. Aber auch ich habe dich manchmal beneidet. Du hattest deine Familie immer dabei, meine war weit weg, und Einsamkeit war immer wieder eine Realität. Und deine wunderbaren Kinder – danke, dass du sie ein bisschen mit mir geteilt hast. Ich konnte mit ihnen spielen, Hausaufgaben machen, backen und war doch froh, sie abends wieder an euch zurückzugeben. Wenn ich nachts zu einem Kaiserschnitt ins Krankenhaus eilte, vielleicht schon dem dritten in der Nacht, und ich todmüde war – dann habe ich oft an dich gedacht. Bei dir waren monatelang die Nächte gestört, weil du stilltest oder ein krankes Kind hattest, und ich hatte doch immer wieder dienstfreie Nächte.“
CHERYL: „Ich war eher froh, dass ich nur ein Kind zu stillen hatte und nicht in den Regen hinaus musste. Übrigens: Einsamkeit kann man auch inmitten einer tobenden Familie erleben, wenn man das Gefühl hat, als ob man allenfalls am Muttertag wahrgenommen wird. Als die Kinder groß waren, konnte ich die ersehnte Ausbildung zur geistlichen Begleiterin machen – und du machtest sie auch. Darüber auszutauschen hat unsere Freundschaft sehr vertieft.“
INGRID: „Cheryl, du hast so richtig deine Berufung darin gefunden. Und durch deine Erfahrung als Ehefrau und Mutter verstehst du Gott anders als ich und kannst so viele Menschen begleiten. Ich finde es toll, dass es für verschiedene Lebensphasen immer wieder neue Berufungen gibt, als Single und als Verheiratete... Cheryl, als Amerikanerin: was gefällt dir an uns Deutschen?“
CHERYL: „Ihr seid sehr gründlich und eure Freundschaften gehen tief; wir haben mehr, aber nicht so tiefgehende.“
INGRID: „Und was findest du schwierig?“
CHERYL: „Du bist manchmal sehr direkt, und das verletzt mich, bis ich mich daran erinnere, dass du eben Deutsche bist. Und bei dir?“
INGRID: „Am Anfang haben mich eure Andeutungen verwirrt. „Vielleicht möchtest du das so und so machen“, das klang mir nach „Ja, kannst du machen oder es auch lassen“. Für euch war es aber ein „So soll es gemacht werden“. Und ich habe Mühe damit, wenn die christlichen amerikanischen Männer, aus Angst vor Missverständnissen, es völlig vermeiden, mit einer Kollegin allein zu sein. Ich verstehe und achte den Schutz, den ihr da aufbaut. Aber dass du immer mitfahren musstest zu Fortbildungen und dergleichen, um deinen Mann quasi vor mir zu schützen, das hat mich verletzt. Typisch deutsch übrigens, mit dem Negativen anzufangen, oder? Was mich immer wieder beglückt hat, war deine Gastfreundschaft! Wie viele Feste und gerade auch Weihnachten durfte ich in eurer Familie erleben. Und die runde Geburtstagsfeier, die ihr mir ausgerichtet habt, war nicht von dieser Welt…! Bei uns in Deutschland ist es ja so, dass man als Geburtstagskind für die eigene Feier verantwortlich ist und gerade als Single da mehr in der Küche steht, als Zeit für die Gäste zu haben. Ihr Amerikaner gestaltet ein Fest für das Geburtstagskind, und das ist genial. Was war eigentlich dein absolutes Highlight?“
CHERYL: „Als meine „verlorene“ Tochter zu Gott zurückfand und damit alle unsere Kinder mit Gott unterwegs waren und noch sind.“
INGRID: „Gott als den mir Zugewandten, mich Schützenden und Versorgenden zu erleben; und wie dein Mann angebraust kam, um mir mit zwei kaputten Reifen zu helfen, als ich in einer gefährlichen Gegend liegengeblieben war, weißt du noch? Ganz unten war ich, als ich merkte, dass ich die super anstrengende AIDS-Arbeit nicht durchhalte und ich nur noch erschöpft war, Burnout eben. Hattest du auch einen Tiefpunkt?“
CHERYL: „Als der dritte Enkel geboren wurde und wir als Familie auf vier Kontinenten verteilt waren, wurde mir klar: So ist das. Dadurch, dass ich Missionarin bin und meine Kinder international aufgewachsen sind, werden wir als Familie wohl immer weit voneinander entfernt leben. Ingrid, wir müssen langsam zum Ende kommen. Wenn du an die Zukunft denkst, was beschäftigt dich?“
INGRID: „Ich lebe jetzt in Deutschland, um meine alte Mutter im Pflegeheim zu begleiten und frage mich oft, wer mich einmal im Alter begleiten wird, denn Kinder habe ich ja nicht.“
CHERYL: „Komisch, mir geht es ähnlich; ich habe die vier Kinder, aber alle so weit weg. Auch ich frage mich, wie es einmal sein wird. Aber erst einmal bin ich gespannt, was für eine Berufung der Ruhestand für mich und für dich bringt. Hast du Angst vor dem Tod?“
INGRID: „Vor dem Sterben, ja; das kann schlimm sein. Aber vor dem Tod nicht. Wie gut, dass wir auf eine herrliche Zukunft zugehen. Für mich ist der Himmel der Ort, wo ich nie wieder Koffer packen muss… unter anderem natürlich. Spätestens dort sehen wir uns wieder, wenn wir es hier auf der Erde nicht mehr hinbekommen. Cheryl, ich vermisse dich.“
CHERYL: „Und ich dich. Lass uns noch füreinander beten…“
Gisela Roth, Missionarin der DMG interpersonal
*Cheryl ist eine zusammengesetzte Figur aus mehreren Erlebnissen, Ingrid zeigt mein Erleben als Single