Vom Wert des Mit-Teilens

„Rudolf* ist vor einer halben Stunde zu Jesus heimgegangen“ – diese Nachricht erreichte mich vor zwei Wochen aus dem 12000 km entfernten Deutschland und hat mich sehr bewegt. Zum einen, weil dieser Mann mir ein jahrzehntelanger (älterer, aber noch gar nicht so alter) Freund und wertvoller Wegbegleiter war. Zum anderen, weil sein Tod für uns alle überraschend kam und zwischen der medizinischen Notfallmeldung und der Todesnachricht nur wenige Tage lagen.
Solche sehr speziellen Nachrichten aus der Heimat können auch anders lauten: die Krebsdiagnose eines Bekannten… die Geburt meiner ersten Großnichte… ein unerwartetes soziales oder politisches Ereignis, das halb Deutschland bewegt… ein Familientreffen… Alles Momente, in denen ich gerne kurzfristig „drüben“ auf der anderen Atlantikseite wäre. Aber was mache ich als alleinlebende Singlefrau in den peruanischen Anden damit? Das ist eine Frage, die sich (vielleicht nicht nur) mir (und auch nicht unbedingt nur im Ausland) immer wieder stellt, und zugleich ist es auch eine Frage nach meiner Eigeninitiative. Kommuniziere ich das mit meinem Umfeld und wenn ja, wie...?
Spontan gibt es da eine Versuchung, über diese Dinge zu schweigen und sie mit mir alleine auszumachen. Vielleicht aus Angst vor überschwänglich emotionalen peruanischen Reaktionen, die auch meine Emotionen weiter befeuern könnten?
Auf der anderen Seite bin ich ja nicht nur zum Arbeiten und möglichst reibungslosen Funktionieren in Peru, sondern gerade auch, um gegenseitig Anteil zu nehmen und Leben zu teilen – inklusive Überraschungen, Trauer, Glück.
Gerade das Mit-Teilen fördert doch Beziehungen und ist auch „interkultureller Dienst“ – aber eben nicht als Einbahnstraße mit der Missionarin als ständiger Geberin. Es ist gesund, wenn auch ich Bedürftigkeit nach Anteilnahme und Hilfe mitteile und mir von anderen dienen lasse. Braucht das (De-)Mut zur Ehrlichkeit? Und dürfen die, die sich sonst gerne an mir orientieren, mich ruhig auch einmal weinen sehen und erleben, dass ich Zeit brauche, um solche Nachrichten zu verarbeiten?
In meinen 24 Dienstjahren in den Anden habe ich ein bisschen mehr Übung im Umgang mit solchen besonderen Situationen bekommen. „Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude doppelte Freude“, sagt der Volksmund – und da steckt schon einiges an Wahrheit drin.
Meist mache ich gute Erfahrungen damit, wenn ich auch „ausländisches“ Freud und Leid mit meinen peruanischen Mitstreitern teile, nicht nur mit Familie und Freunden in Deutschland. Ein geteiltes Foto mit ein paar Sätzen dazu, warum mir dieser Mensch wichtig war oder ist, das reicht oft schon. Neben herzlicher Anteilnahme – manchmal auch durch vorbeigebrachtes Essen (!) –bedanken sich die Peruaner fast immer für das Mit-Teilen, und manche drücken auch aus, dass sie sich dadurch geehrt gefühlt haben. Mir beschert es neben Mitgefühl zugleich auch eine Annäherung meiner beiden „Heimaten“ – das tut gut.
Zugleich brauche ich auch Zeiten des Alleinseins zum Verarbeiten… was in einer Kollektivkultur, wo fast alles im Plural abläuft, manchmal einige diplomatische Kreativität benötigt. „Freundin sein“, das hat Gott mir vor gut 24 Jahren bei meinem Start in Peru als ausdrückliche Dienst(!)-Facette ans Herz gelegt. Könnte es sein, dass manchmal gerade dieses Mit-Teilen mehr bewirkt als gut organisierte Aktivitäten oder Projekte? Und dieses Mit-Teilen könnte vielleicht auch in Deutschland zu einem besseren Miteinander in Gemeinden, auf der Arbeit und in der Nachbarschaft führen, oder?
Birgit Ufermann, Peru
(*) Name geändert
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