Leben zwischen Wächtern, Ahnenkult und Flüchen
Es ist 19.30 Uhr: Ich mache noch eine Thermoskanne mit schwarzem Tee und viel Zucker, bringe Brot, Bananen, einen Apfel und Ei hinaus zu dem anwesenden Wächter. Er sitzt auf seinem Stuhl, von dem aus er seine regelmäßigen Rundgänge entlang der Mauer im Grundstück macht. Am Morgen um 7 Uhr kommt der Tag-Wächter.
Meistens vergeht die Nacht relativ ruhig, außer an Wochenenden und an Feiertagen, wenn sehr viel Alkohol getrunken wird, und der Disco- oder Party-Lärm oder weithin hörbare Trommeln durch die Nacht schallen. Die Stadt hier hat ca. 270.000 Einwohner und wächst stetig. Auch der Verkehr ist sehr sicht- und hörbar mit Autos und tausenden Motorrädern.
Zuvor lebte ich weder allein noch in einem so stark muslimisch geprägten Kontext wie hier im Norden des Landes Mosambik, wo ich 2002 als Krankenschwester und ab 2005 mit Globe Mission-Missionsarbeit begonnen habe. Ich hatte in verschiedenen internationalen Missionars-Compound zusammengelebt, mit Familien und Singles. Auch hier gab es Sicherheitspersonal, aber sie gehörten allgemein zum großen Grundstück.
Es gibt Momente, die ich sehr anstrengend und nervig finde, immer beobachtet zu werden —bin dann aber doch 99% der Zeit dankbar für die drei freundlichen Männer, die meist fröhlich im 2-Schichtbetrieb (einer hat immer 7 Tage frei) zur Arbeit kommen, und die dankbar für eine Stelle und korrekte Bezahlung sind. Es ist hier auch notwendig, als Ausländer Einheimischen bezahlte Arbeit zu geben, NOCH dazu, wo ich allein wohne – ohne Mann und Kinder. Diese gewählte „Lebens-Situation“ ist fast undenkbar in der hiesigen Kultur.
Meine direkte Nachbarin arbeitet als Prostituierte, und hat daher viel Besuch... Es ist herzzerbrechend für mich zu wissen, dass sie so lebt und ihr noch dazu die Schuld für ihr „unverheiratet-Sein“gegeben wird. Seit Jahren bete ich, dass sie errettet wird, für Freiheit und Heilung. Und es war hier im Norden über viele Jahre hinweg schwierig für mich, da die Wächter sich untereinander nicht mochten und per Mietvertrag zu einer anderen Mission gehörten. Dies ist seit Februar 2024 anders! Eine riesige Gebetsantwort.
Was ich nicht ahnte vor dem Umzug vor 8 Jahren in den Norden: es ist eine andere Herausforderung hier – ein großes Stigma, kinderlos zu leben als Frau. Die meisten Frauen leben ohne Mann, aber mit vielen Kindern verschiedener Väter.
Polygamie ist erlaubt bzw. wird ermutigt vom Islam, der traditionell vorherrschenden Religion seit Generationen hier im Norden. Noch dürfen wir als Christen in Kirchen sein, und anbeten – es gibt aber bereits Verfolgung, besonders außerhalb der Städte. In der animistischen (Scham-)Kultur bedeutet Kinderlosigkeit ausgegrenzt und verachtet zu sein – sicher hat jemand mindestens einen Fluch auf die Frau gelegt. Die Schuld, nach der gesucht wird, liegt sowieso bei der Frau.
Ich gebe auch Unterricht an der Bibelschule vor Ort zu den Themen Gesundheit und Prävention. Es sind immer sehr erstaunte Gesichtsausdrücke der Männer zu sehen, wenn ich beginne, über mögliche Ursachen für Kinderlosigkeit zu sprechen – deren Ursache eben auch auf der männlichen Seite zu finden sein kann. Es ist immer ein großer Denkprozess, mal Gottes liebende Schöpfungs-Sichtweise zu betrachten, was ER über Ehe, die Monogamie und Treue in seinem Wort sagt.
Auch „Frau-Sein“ ist so anders hier, z.B. in Sachen Autofahren, Technik oder Studieren... manches erscheint, wie in Europa vor vielen Jahrzehnten, etwas „rückständig“. Der Süden des Landes nah an Südafrika gelegen ist schon wesentlich weltoffener und „westlicher“... Gleichzeitig gibt es große Hoffnung, denn viele junge Leute wollen sich akademisch mehr bilden, fast alle in der Stadt haben Smartphones und Internet.
Hier im Norden ist das Leben, die Gesellschaft auf der Grundlage der Traditionen „Ahnen-Anbetung“ und Angst vor Flüchen seit Generationen gestützt. Meine Antworten, wenn ich gefragt werde, ob ich Kinder habe bzw. wie viele: Ich habe viele, aber sie sind nicht meine: Denn in den vielen Jahren und verschiedenen missionarischen Gesundheitszentren, in denen ich gearbeitet habe, habe ich tausende Babys, Kinder und Frauen behandeln und begleiten können im Team. Auch aktuell bin ich im lokalen Provinz-Krankenhaus zu täglichen Besuchen auf Kinder- und Krankenstationen involviert in Betreuung einiger chronisch kranker Kinder, bei Hausbesuchen sowie in einer Missions-Klinik für Frauen und Kinder mit einheimischen Volontären.
Auf „Heiratsanfragen“ zeige ich meinen Ring und sage: „Ich bin verheiratet mit Jesus.“ Das hilft meist, nicht immer. Frauen fragen häufig, wieviel Kinder ich habe und wo sie leben –auch hier kann ich von der Hilfe als Krankenschwester erzählen, die ich Kindern gebe. Sie lachen dann manchmal und sagen: „Ihr Mann ist weg“ oder. „Ist doch auch gut ohne Mann, oder?“ Die meisten verstehen es jedoch nicht wirklich, zumal der feste „Glaube“ besteht, dass „ohne regelmäßigen Sex zu haben krank macht“. In Wahrheit ist hier mit bestehender Promiskuität das Gegenteil der Fall: HIV/Aids und andere Krankheiten sind sehr verbreitet und verursachen Leid, Schmerzen, Verluste sowie vermehrte Therapie-Resistenz. Dazu kommen viel zu frühe, gefährliche Schwangerschaften schon ab 11 Jahren, die zwar per Gesetz verboten sind, nicht jedoch in der gesellschaftlichen traditionell bestimmten Realität.
Unter Missionarinnen anderer Kulturen höre ich: „Du hast es besser, bist nicht verheiratet, hast keinen Ehe- und Kinderstress“ oder: „Unverheiratet bleibst du länger jünger“ – dabei sind es ja individuelle, freie Willensentscheidungen mit jeweils eigenen Herausforderungen, verheiratet oder ledig zu sein. Teilen von Schönem oder Schwierigem ist auch anders möglich, mal mit einer Freundin, treuen Fürbittern oder mit einer langjährigen Mentorin sowie auch mit meiner Schwester. Wertvolle Freundschaften – hier wie in Europa – helfen mir wirklich sehr, sind essenziell.
Wofür ich echt sehr dankbar bin: Über Online-Dienste kommunizieren zu können und per Internet Nachrichten und internationale Geschehnisse verfolgen zu können – ja auch gute Predigten, Anbetungsmusik und Gottesdienste zu erleben. So spüre ich, dass Jesus in und mit mir der „Single“ ist und mich besonders stärkt, wo ich Ihn brauche. Seine Nähe ist, wie im Hohelied beschrieben, besser als alles andere. „Solo“ sein mit Jesus – ER ist dabei in allem! Im Alleinsein wie im Zusammensein mit guten Freundinnen. Ich sehe Seine Handschrift, Güte und Liebe jeden Morgen neu, in Sonnenaufgängen oder in aufgehenden Rosenblüten im Garten, wenn es eigentlich zu heiß, zu kalt oder zu trocken ist. Oft sehe ich Ihn in Kinderaugen, mit Schönheit, Wahrheit. Es sind Seine besonderen Geschenke an mich.
Gott – drei in einem – ist größer und Er weiß, wie es mir geht. Er begegnet mir immer wieder besonders auch durch Menschen, die mich ermutigen oder herausfordern, und Er ist treu in Bewahrung – inzwischen fast 22 Jahre in Mozambique. Das heißt nicht, dass ich meine Geschwister und Eltern, Freunde und Gemeinde nicht vermisse. So versuche ich, einmal im Jahr für zwei Monate bei ihnen zu sein – in Deutschland und anderswo – ja und auch auszuruhen. Denn der geistliche Kampf, das „Unterdrückende, ist nicht gering hier. Es gibt eine andere Freiheit in Deutschland. Und ich werde nicht angestarrt als Weiße. Ich weiß aber tief in mir, dass Gott das Beste für mich hat – ortsunabhängig –und das wirklich ALLES seine Zeit hat.
Heide Zwirner, Mozambique