Das Älterwerden gekonnt "umgehen"?
Zur Werkstatt 60 plus hat sich eine kleine Schar Single-Frauen zwischen Ende 50 und Anfang 70 auf den Weg gemacht ins schöne Woltersdorf. Warum so wenige, frage ich mich? Angst vor dem Altsein? Später vielleicht... aber wann ist „später“? Was ich bisher in Altersheimen oder bei manchen Altgewordenen gesehen und gehört habe, hat mich verstört und eingeschüchtert.
Drei Frauen – Margret Meyer, Christine Günther und Waltraut Riedel – empfangen uns warmherzig und aufmunternd. So wollen sie ein Klima schaffen, in dem wir angstfrei über das Älterwerden sprechen können. „Ich sag nix“, nehme ich mir vor. Verdrängen ist alles. Astrid Eichler ist auch da; das hat etwas Beruhigendes für mich. Sie ist ja auch eine Lernende, auf der Reise ins unbekannte Land Alter. „Vor drei Jahren haben wir uns erstmals online zusammengetan und über Fernbeziehung diese Werkstatt entwickelt“, flüstert mir Astrid zu. Die Werkstatt 60 plus findet zum dritten Mal statt.
Margret, Christine und Waltraut investieren wieder Zeit, Kraft, Mut, Kopf und Herz und Geld, um zu ermutigen: „Ihr schafft das.“ Astrid stimmt zu. Sie steckt mitten in der Praxis: Die Rente beginnt. Umzugskartons werden via Telefon von A nach B beordert. Irgendwer macht das gerade für sie. Was soll ich sagen? Es tat in den Tagen so gut, einfach mal sagen zu dürfen, was Angst und Sorgen macht und festzustellen, anderen Singles geht es auch so. Ähnliche Fragen beschäftigen uns.
Ein Zoom-Interview mit der 86jährigen Annegret: „Das Thema Wohnen hört nicht auf“, sagt sie. Und „Wenn Menschen sterben, die wir liebhaben, tut es einfach nur weh.“ Annegret beschönigt nichts. Verharmlost nicht. Sie ist mir 26 Jahre voraus. Von ihr darf ich lernen. Und auch von den Solo&Co-Mitarbeiterinnen und von den anderen Teilnehmerinnen. Die Themen: Gesundheit, Dinge regeln, wohnen, mein Leben anschauen, Beziehungen pflegen, geistliches Leben.
Aber es gab auch inoffizielle Themen beim Schwätzchen zwischendurch. Das Alleinsein und die Rückzugstendenz, die man als Single in der Coronazeit perfektioniert hat. Offen bleiben für die digitalen Neuheiten, die sich im Alter als kleine Helferlein erweisen können... Apropos Helferlein – meine wichtigste Erkenntnis in diesen Tagen: Schon jetzt lernen, Hilfe anzunehmen.
Das Älterwerden verläuft eher in Phasen (Modell von Vreni Theobald). Viele von uns stecken in Phase 3: Ich kümmere mich um mich und andere helfen mir dabei. Phase 4 heißt dann: Andere kümmern sich um mich.
Warum bin ich beleidigt, wenn mir jemand im Zug seinen Platz anbietet? Was hindert mich, Hilfen anzunehmen? Schamgefühl? Ich will nicht schwach sein? Wenn wir schon jetzt lernen, um Hilfe zu bitten oder Hilfsangebote einfach annehmen, ist der Übergang nach Phase 3 und Phase 4 natürlicher, vielleicht weniger beängstigend. Kein grauenhafter Sprung in eine Abhängigkeit, die wir nicht gelernt haben. Training ab sofort macht es für uns und unsere zukünftigen Kümmerer einfacher.
Mit dem Älterwerden gekonnt umgehen. Es gibt also was anderes. Um das herauszufinden, dafür ist diese Werkstatt. Damit wir von Annegret lernen konnten, half Heiko aus ihrer Gemeinde, die Zoom-Technik für sie einzurichten. So blieb uns zum Abschluss neben vielen Kostbarkeiten und Impulsen mit einem Grinsen der Satz: „Finde deinen Heiko.“
Cornelia Meise, Bielefeld